Macht Stoizismus erfolgreich?

Ist man erfolgreicher ohne stoische Tugenden? Bremsen einen die Maximen stoischer Philosophie bei der Karriereplanung aus? In der Philosophie des Stoizismus sind äußere Dinge, wie materieller Besitz oder Erfolg für das gute Leben nicht ausschlaggebend. Tugendhaftes Handeln, d.h. weise, gerecht, gemäßigt und mutig zu handeln ist entscheidend für das gute und gelingende Leben. Kann man erfolgreich sein mit einer Lebensphilosophie, in der Erfolg eine geringe Rolle spielt? Zum Einstieg, ein Beispiel einer Karriere eines Managers, der eine grundlegend un-stoische Lebensphilosophie vertrat und gelebt hat:

Das Leben des Jeffrey “Jeff” Skilling ist eine Geschichte von Ehrgeiz, Talent und sagenhaftem Erfolg. Es ist die Geschichte eines Mannes, der davon überzeugt war, dass Menschen von Grund auf egoistisch und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind. Gier und Angst, seien demnach die einzigen Motivatoren menschlichen Handelns. “Are you smart?” ist Jeff Skilling in einem Auswahlgespräch an der Harvard Business School gefragt worden. Seine Antwort war: “I am fucking smart!” Und das war er auch. Der intelligente und extrem ehrgeizige Mann hat die Aufnahmeprüfung bestanden und seinen Abschluss als einer der 5% Besten seines Jahrgangs in Harvard gemacht. Was danach kam, war eine Karriere, die steiler nicht sein kann. Nach seiner Zeit bei McKinsey ist Skilling in einem Energieunternehmen eingestiegen, wo er im Laufe der Zeit seine Managementphilosophie des extremen Wettbewerbs implementierte. Stoische Tugenden wie Mäßigung oder Fairness galten als Zeichen von Schwäche. Skilling trieb seine Mitarbeiter und sich selbst unbarmherzig an, alles für Wachstum und Rendite zu tun. Wer lieferte wurde mit großen Boni belohnt und die 15% am schlechtesten abschneidenden Mitarbeiter einer Abteilung (unabhängig von der absoluten Performance) mussten sich entweder eine andere Stelle im Unternehmen suchen oder das Unternehmen verlassen. Skilling war derart erfolgreich, dass er schließlich 2001 als CEO 132 Mio. US Dollar verdiente. Sein Unternehmen wurde sogar fünf Mal in Folge zum innovativsten Unternehmen der USA gewählt. Eine absolute Erfolgsstory, oder? Am Zenit seiner Karriere stieg Skilling 2001 mit 48 Jahren überraschend aus dem Energieunternehmen, mit dem Namen Enron, aus. Ein Jahr später meldete Enron Konkurs an und es offenbarte sich einer der größten Betrugsskandale, die die USA je gesehen hat. Zehntausende Enron Mitarbeiter verloren ihre Jobs und Betriebsrenten. Tatsächlich hatte Enron schon jahrelang keine schwarzen Zahlen mehr geschrieben. Der Konzern hat auf höchstem Niveau mit fragwürdigen Geschäftsmodellen und spektakulärer und kreativer Bilanzfälschung operiert. Skilling wurde zu 24 Jahren Haft verurteilt.

Hätte Skilling auch unter Befolgung stoischer Tugenden erfolgreich werden können? Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man definiert, was genau Erfolg heißen soll. Wenn man Erfolg als materielles, finanzielles und unternehmerisches Reüssieren versteht, dann steht Stoizismus dieser Art von Erfolg weder im Weg, noch garantiert er diesen. Entscheidend zu wissen ist, dass Erfolg nur zum Teil von uns selbst abhängt. Wer also nach Dingen strebt, die er nur bedingt beeinflussen kann, wer sein Lebensglück von Umständen und Zufällen abhängig macht, ist für die Stoiker ein Narr. Zentral für das gelingende Leben ist tugendhaftes Handeln. Dies ist das Einzige, was in sich gut ist und daher erstrebenswert. Man darf und soll durchaus beruflichen Erfolg anstreben, aber dieser darf nicht mit den Tugenden korrelieren, denn, so Mark Aurel, unser primärer Job ist es ein guter Mensch zu sein. Beruflicher Erfolg ist kein Selbstzweck und in sich gut oder erstrebenswert. Wir sind aber durchaus angehalten, unsere Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, um der Gesellschaft und uns Nutzen zu stiften. Somit können beruflicher Erfolg, Wohlstand und Status/Prestige einen instrumentellen Wert haben, nämlich indem sie uns ermöglichen tugendhaft zu handeln- Gutes zu tun. Höchstwahrscheinlich wäre Enron unter einem Stoiker Skilling nicht so schnell gewachsen, aber es würde das Unternehmen noch geben und ggf. wäre mehr Wert für Menschen gestiftet worden.

Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahnten Wesen!
(Johann Wolfgang Goethe)

Wir sollten uns nicht von Statussymbolen und Bilanzen beeindrucken lassen, sondern von Beispielen menschlich herausragenden Handelns, von Güte, Mut, Selbstlosigkeit und Bescheidenheit. Die Philosophie der Stoiker ist im Grunde eine Philosophie des Erfolges- eines Erfolges, der für jeden Menschen machbar ist. Entscheidend ist es nicht, perfekt tugendhaft zu leben, sondern sich beständig diesem Ziel zu nähern. Ein besserer Mensch zu werden liegt in unserer Hand und daran zu arbeiten, ist worauf es ankommt. Und jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung ist ein Erfolg. So gesehen ist jede tugendhafte Handlung ein Erfolg. Auf das richtige Handeln im Hier und Jetzt gilt es sich zu fokussieren. Erfolge anderer Art stellen sich ein oder nicht, nur unser eigenes Bemühen ist, was wir wirklich beeinflussen können. Durch dieses stete Bemühen leben wir ein Leben voller Erfolgsmomente, Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit.

Your potential, the absolute best you’re capable of – that’s the metric to measure yourself against. Your standards are. Winning ist not enough. People can get lucky and win. People can be assholes and win. Anyone can win. But not everyone is the best possible version of themselves. (Ryan Holiday)

Zum Weiterlesen:

https://qz.com/956682/philosopher-andrew-taggart-is-helping-silicon-valley-executives-define-success/

Das “Warum” im Leben und die Bedeutung einer Mission

Wer hat schon eine klare Antwort auf die Frage, was ihn im Leben antreibt bzw. worin seine Lebensaufgabe besteht? Diese nicht zu haben, kann aber durchaus problematisch sein. Viktor E. Frankl hat Sinn als zentralen Bestandteil des menschlichen Lebens gesehen und dessen Abwesenheit als Ursache für Leid und Unglück. Letztlich leide der moderne Mensch an Sinnlosigkeit, an einer quälenden Leere, dem Nichtwissen, warum und wozu man lebt. Weder ist der Mensch rein instinktgesteuert, noch leben wir in einer Zeit, in der Tradition unser Leben vollständig bestimmt. Wie können wir dieses “existentielle Vakuum” füllen?¹

Sinn- und identitätsstiftend kann nur eine Aufgabe sein, in der wir aufgehen, deren Erfüllung uns etwas bedeutet, uns wichtig ist. Alex Lickerman prägt, in Anlehnung an Frankl, den Begriff der “Mission”, einer persönlichen Lebensaufgabe. Wer seine  Mission kennt, weiß, was er im Leben zu tun hat und wofür er lebt. Und noch mehr als das: das Kennen und Leben der eigenen Mission steigert den Selbstwert und verleiht Kraft, auch unter schwierigsten Bedingungen durchzuhalten. Viktor Frankl, selbst KZ-Überlebender, betonte, dass Leiden aufhöre Leiden zu sein, wenn es einen Sinn bekommt. Der Entschluss, seine Erfahrungen im Konzentrationslager dafür zu verwenden, der Welt ein besseres Verständnis von Sinn zu vermitteln, bewahrte ihn davor, an seinen Erlebnissen psychisch zu zerbrechen.

Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie. (Friedrich Nietzsche)

Folgende Aspekte charakterisieren eine Mission:

1. Eine Mission ist eine Aufgabe und kein Ziel: Sie kann durch verschiedene Strategien verfolgt werden.

Die Mission eines Künstler kann beispielsweise sein, Schönheit in die Welt zu setzen. Aus persönlicher Neigung heraus tut er dies in Form der Bildhauerei. Sollte er jedoch physisch nicht mehr in der Lage sein mit seinen Händen Skulpturen zu erschaffen, kann er andere Strategien finden seine Mission zu erfüllen. Es gibt immer Mittel und Wege, um seiner Mission nachzugehen. Im Grunde können äußere Umstände der Erfüllung nicht im Wege stehen. Daher ist es wichtig, die Mission als Aufgabe statt als Ziel zu sehen. Am Ziel, z.B. 2000 Skulpturen zu erschaffen, kann man scheitern, an der Aufgabe Schönheit in die Welt zu setzen jedoch nicht. Solange man nicht aufgibt, arbeitet man am Erfüllen der Mission. Es ist ein Rennen ohne Ziellinie. Was zählt, ist das Vorwärtskommen und das unermüdliche Laufen in die richtige Richtung.

2. Die Strategien zur Erfüllung der Mission müssen uns in irgendeiner Form Freude bereiten.

Eine Mission kann z.B. darin bestehen, Menschen in materieller Not zu helfen. Aber nicht jeder ist dazu geeignet, in Krisengebieten unter widrigsten Bedingungen humanitäre Hilfe zu leisten. Wer mehr Freude am Einwerben von Geldern oder an der Organisation von Spendenkonvois hat, der sollte sich entsprechend hier engagieren. Selbst wenn ein Zweck oder eine Aufgabe uns sehr am Herzen liegt, aber die Strategien zur Erfüllung der Mission uns kaum Freude bereiten und sich wie große persönliche Opfer anfühlen, werden wir diese nur schwer langfristig aufrechterhalten können. Um nachhaltig glücklich zu sein, müssen wir die Strategien zur Erfüllung der Mission in gleichem Maße lieben wie die Mission selbst.

3. Das Erfüllen der Mission schafft stets Wert für andere

Was der Mission den großen Wert für unser Glücklichsein gibt, ist die Tatsache, dass das Erfüllen der Mission immer auch Wert für andere schafft. Für andere Gutes tun, erhöht nachweislich die eigene Zufriedenheit. Je größer der Wert ist, den wir für andere schaffen, desto größer ist auch unser Selbstwertgefühl und der Wert, den wir unserem eigenen Leben beimessen. Auch der Künstler, der Schönheit in die Welt setzen möchte, tut dies letztlich für andere Menschen.

Wie finde ich meine Mission?

Das Finden der eigenen Mission ist keine triviale Angelegenheit. Wichtig für das Verstehen des Konzepts der Mission ist, dass sie aus sich selbst heraus kommt. Anders als eine militärische Mission wird sie uns nicht erteilt, sondern wir legen sie frei. Was uns wichtig ist, was uns Freude bereitet oder eine tiefe Genugtuung können wir uns, genau wie die Mission nicht aussuchen. Auf der Suche nach der Mission müssen wir uns überlegen, was uns Freude beschert, was für uns aufregend ist und den dahinterliegenden gemeinsamen Nenner finden. Welche wertschaffende Tätigkeit könnte dies sein? Lickerman schlägt vor, sich in einem Gedankenexperiment zu fragen, wofür man an seinem Lebensende geehrt werden möchte. Schönheit in die Welt setzen, anderen helfen gesünder zu werden, seine Kinder zu glücklichen Menschen erziehen oder anderen bei der Suche nach Glück und Sinn zu helfen… – Was ist deine Mission?

 

Literatur:

¹Frankl, Viktor E., 2015: Das Leiden am sinnlosen Leben: Psychotherapie für heute. (Sowie online: http://www.lesekost.de/deutsch/au/hhlau08.htm )

²Lickerman, Alex, 2012: The Undefeated Mind. On the Science of Constructing an Indestructible Self.

Nur was wir kontrollieren können, kann gut sein. Einführung in den Stoizismus – Teil 1

Wie das Wissen darum, was wir kontrollieren können uns davor bewahren kann unglücklich zu sein.

In Anlehnung an den römischen Philosophen und Stoiker Epiktet betont Julian Evans¹ wie wichtig es ist zwischen den Dingen unterscheiden zu können die wir beeinflussen können und denjenigen, über die wir keinerlei Kontrolle haben. Für Epiktet liegt die Wurzel vielen Leidens in folgenden zwei Fehlern:

1. das vergebliche Versuchen Dinge zu kontrollieren, die außerhalb unserer Macht liegen

2. das Vernachlässigen der Dinge, die wir tatsächlich kontrollieren können

Aber was genau sind die Dinge, die wir kontrollieren können? –  Unsere Überzeugungen und Gedanken. Über nichts anderes verfügen wir absolute Kontrolle.

Beispiel:

Auf dem Weg zur Arbeit werden wir von einem Regenschauer überrascht und sind danach völlig nass.

Das Wetter können wir natürlich nicht kontrollieren. Wie sehr wir uns jedoch über das nass werden ärgern liegt sehr wohl in unserer Macht. Alles was sich unserer Kontrolle entzieht, müssen wir akzeptieren. Zwischen unseren Gedanken, und beispielsweise den Wetterphänomenen, liegt natürlich eine große Menge an Dingen über welche wir eine teilweise Kontrolle verfügen. Der eigene Körper, Beziehungen, Schulnoten, die Qualität unserer Arbeit…

Einige Dinge stehen in unserer Macht, andere hingegen nicht. In unserer Macht sind Urteil, Bestrebung, Begier und Abneigung, mit einem Wort alles das, was Produkt unseres Willens ist. Nicht in unserer Macht sind unser Leib, Besitz, Ehre, Amt und alles was nicht unser Werk ist. (Epiktet²)

Kontrolle und die Frage danach, was gut oder schlecht ist

Was uns im Leben widerfährt, ist weder gut noch schlecht. Allein unsere Reaktionen darauf sind gut oder schlecht. Worauf wir uns konzentrieren müssen, ist im Hier und Jetzt gut zu handeln. Und gut handeln bedeutet tugendhaft handeln. Nichts anderes ist notwendig für ein gutes, erfülltes und glückliches Leben.

Die vier Kardinaltugenden:

– Disziplin/Mäßigung

– Mut

– Weisheit

– Gerechtigkeit

Tugendhaftes Handeln ist als einziges im Leben gut, bewunderns- und erstrebenswert. Im Gegenzug ist nicht-tugendhaftes Handeln, also feiges, dummes und ungerechtes Handeln schlecht und ablehnenswert. Alles andere ist für das gute Leben irrelevant und wertlos. Dies umfasst Dinge wie Reichtum/Armut, Gesundheit/Krankheit, physische Freuden und Besitz. Sicherlich sind manche dieser “irrelevanten” Dinge anderen vorzuziehen. Gesund zu sein ist besser als krank zu sein. Der entscheidende Punkt ist jedoch folgender: zu all jenen Dingen, die wir nur partiell kontrollieren können benötigen wir eine gewisse Distanz. Ohne Zweifel sind wir bemüht Erfolg im Beruf zu haben oder eine gute Beziehung zu führen. Aber da wir unsere Arbeit, unseren Partner, aber auch unsere Gesundheit und unser Vermögen jederzeit verlieren können, dürfen wir unser Lebensglück nicht davon abhängig machen.

Die Stoiker raten uns, alles in unserer Macht stehende zu tun und mit Mut und Freude die Dinge des Lebens anzupacken- obwohl unsere Pläne jederzeit scheitern können. Was nicht, oder nicht mehr, zu ändern ist, müssen wir mit Gleichmut akzeptieren.

Wohl dem Menschen, wenn er gelernt hat, zu ertragen, was er nicht ändern kann, und preiszugeben mit Würde, was er nicht retten kann. (Friedrich Schiller)

 

Literatur:

¹ Evans, Jules, 2012: Philosophie fürs Leben: …und für andere gefährliche Situationen.

² http://gutenberg.spiegel.de/buch/-7739/1

 

Überforderung – was nun? Entschleunigen, Aussteigen, Entsagen?

Entschleunigung: Zeitlupe statt Zeitraffer

Wie im vorherigen Blogeintrage bereits angesprochen, nehmen Stress und Überforderung zu. Was kann man dem entgegensetzen? Um der Logik der Steigerung und Optimierung zu entkommen gibt es Trends zur bewussten Entschleunigung. Neben den Freizeitaktivitäten, die oft auf Optimierung und Leistung ausgerichtet sind, wie Sport und Fortbildungen, kommen altmodisch anmutende Hobbies und Handarbeiten wieder in Mode. Anstatt für den nächsten Marathon oder den Waschbrettbauch zu trainieren, beginnt man wieder zu stricken, basteln, im Garten zu arbeiten.

Tätigkeiten, die wir bis vor Kurzem eher mit unseren Großeltern in Verbindung gebracht haben, liegen zusehends im Trend. Es sind Dinge, bei denen man sich entspannen kann,  die bewusst langsam ausgeführt werden, denn man will sich darin spüren und darin aufgehen. Klar kann ein Kaffeevollautomat auf Knopfdruck Kaffee brühen, aber die Bohnen mit der Hand mahlen, die Siebträgermaschine gründlich einstellen und reinigen oder in Zeitlupe Filterkaffee aufgießen entspannt und lässt die Welt um einen herum vergessen. Genau das anachronistische und ineffiziente daran stellt den Gegenentwurf  zum vielfach wahrgenommenen Druck zur Steigerung und Optimierung dar.

Man begeistert sich auch zusehends für das beschauliche, idyllische Landleben, das als Gegenprogramm schlechthin für das hektische, stressige Stadtleben gesehen wird. Die Zeitschrift “Landlust”, in der das Landleben portraitiert, Koch- und Dekorationstipps gegeben werden, erreicht eine verkaufte Auflage von mehr als einer Million Exemplaren.

Vorsicht Weltflucht

Julia Friedrichs sieht in ihrem Artikel “Entschleunigung. Die Welt ist mir zu viel.”1 den Trend des zunehmenden Ausblendens und Abwendens von der Realität kritisch. Problematisch werde es, wenn aus Ablenkung Weltflucht und Realitätsverweigerung entstehen. Gerade auch das bewusste Ausblenden der als hart und unschön empfundenen Realität, um das eigene Gemüt zu schonen, hält die Autorin für unverantwortlich. Am Ende hole einen ja doch wieder die Realität ein und außerdem habe man eine Verantwortung sich an der Lösung gesellschaftlicher Probleme zu beteiligen und dürfe sich nicht in seiner Parallelwelt davor verstecken.

Neben diesen kleineren alltäglichen Weltfluchten wie Häkeln und Arbeiten im Schrebergarten, gibt es auch mehr radikale Ausstiege bis hin zur Verweigerung am bisherigen Leben teilzunehmen.2 Fraglich ist, ob ein derart radikaler Schritt die hohen Erwartungen erfüllt. Auch der ehemalige Banker, der eine Surfschule in Südamerika betreibt, steht vor Alltagsproblemen in seinem neuen Leben.

Going nowhere … isn’t about turning your back on the world; it’s about stepping away now and then so that you can see the world more clearly and love it more deeply. (Iyer, 2014: 13)

Nowhere

Foto: Eduard Szekeres

Entsagen, Beschränken, Verzichten

Die freiwillige Beschränkung kann als eine Reaktion auf das Problem mit dem Umgang mit den als erdrückend empfundenen Vielzahl an Optionen, die das moderne Leben bereithält, gesehen werden. Wer nur zwei Paar Hosen und T-Shirts besitzt, muss morgens nicht lange überlegen, was er anziehen soll. Aber die Problematik des Auswählens aus zu vielen Möglichkeiten wird dadurch nicht beseitigt. Wie wenig ist genug? Sieben, fünf, drei, zwei Hosen? Nur wer radikal verzichtet und, wie die Kyniker im antiken Griechenland, in völliger Armut nur mit der Kleidung, die er trägt und wortwörtlich einer Hand voll Dinge lebt, kann in den Genuss der völligen Optionslosigkeit gelangen.

Kritisch zu sehen sind Entsagen und bewusster Verzicht, wenn daraus Selbstdarstellung wird3. Wenn man sich abgrenzt und von der Masse abheben will, indem man, obwohl man es sich leisten könnte, auf das neueste Smartphone verzichtet und ein altes Nokia ersteigert, dann ist die Außenwirkung der eigentliche Antrieb. Bescheidenheit und Mäßigung sind Tugenden, nicht jedoch die Selbstinszenierung, wenn man sich als gut situierter Bürger damit brüstet “nur” ein Butterbrot  zu essen. Insbesondere wenn andere Menschen sich mit einem Butterbrot begnügen müssen, da sie sich nicht mehr leisten können.

Ausstieg light: ein Ausflug nach “Nowhere”

An dieser Stelle möchte ich eine einfache und schöne Möglichkeit vorstellen, um sich der Hektik und Beschleunigung zu entziehen. In seinem Buch “The Art of Stillness. Adventures in going Nowhere.”4 entwickelt Pico Iyer das Konzept von “Nowhere”. Dieses „Nirgendwo“ ist ein Rückzugsort, an den wir gehen können, um einen Schritt zurückzutreten und unser Leben in Ruhe betrachten zu können. Dieser Ort kann eine Parkbank, ein Sessel im Wohnzimmer, ein Ausflug in den Wald oder etwas anderes sein. Entscheidend ist, dass wir in Ruhe mit uns selbst sein können. Pico Iyer geht, in Anlehnung an die Philosophie der Stoiker, davon aus, dass wir unseren Seelenfrieden nur in uns selbst finden können. Um ihm näher zu kommen brauchen wir keine Reisen, keine Hobbies und keine Apps. Es hilft schon, wenn wir einfach für einige Minuten still sitzen.

You can go on vacation to Paris or Hawaii or New Orleans three months from now, and you’ll have a tremendous time, I’m sure. But if you want to come back feeling new – alive and full of fresh hope and in love with the world – I think the place to visit may be Nowhere. (Iyer 2014: 65)

——————

1http://www.zeit.de/zeit-magazin/2015/01/entschleunigung-biedermeier-handarbeit-stressabbau

2http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/karriere-verweigerer-alix-fassmann-schmeisst-ihren-job-a-1014164.html

3http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/modedroge-entsagen-lebenslaenglich-aschermittwoch-13442212.html

4Iyer, Pico 2014: The Art of Stillness. Adventures in going Nowhere. New York: TEDBooks.

Die Grenzen unserer Lebensphilosophie: Warum uns das Überangebot überfordert und unglücklich macht

Wir verfügen über mehr Einkommen und freie Zeit als unsere Eltern und Großeltern, wir können schneller kommunizieren, weiter verreisen und immer mehr in kürzerer Zeit erledigen. Wir sind aber nicht glücklicher als die Generationen vor uns. Die sog. Y-Generation ist sogar unglücklicher, da das Überangebot an Lebenszielen und Lebenswegen sie überfordert.

Beschleunigung im Beruf: mehr Arbeit und mehr Konkurrenz

Überforderung und Erschöpfung scheinen um sich zu greifen. Wer derart emotional erschöpft ist, dass er dadurch unfähig geworden ist die Anforderungen seines Lebens zu bewältigen, dem wird ein sog. “Burnout” attestiert- und das passiert immer häufiger. Unabhängig vom tatsächlichen Ausmaß der Verbreitung des “Burnouts” zeigt die anhaltende Popularität dieses Themas, dass damit ein Nerv getroffen wurde. Es scheint, als würden immer mehr dem Druck ihres Lebens nicht mehr standhalten. Woran liegt das? Zum Einen am Arbeitsleben: Konkurrenz, Wettbewerb und Innovation führen dazu, dass das Arbeitsleben immer dichter wird. Mehr und komplexere Aufgaben müssen in immer kürzerer Zeit bewältigt werden. Doch neben dem härteren Wettkampf und der gestiegenen Angst vor Jobverlust und sozialem Abstieg sowie immer mehr Flexibilität, die einem abverlangt wird, ist es ein anderes Phänomen, dass den Druck auf den Einzelnen spürbar erhöht: Die Beschleunigung greift zusehends auf das Private über.

Beschleunigung im Privaten: neue Kommunikationsformen und das Überangebot an Möglichkeiten

Die Beschleunigung im Privaten liegt einerseits an den neuen Formen der Kommunikation, die uns ständig erreichbar machen und uns erlauben immer zeitnaher zu kommunizieren. Eine E-Mail ist schneller geschrieben als ein Brief, aber die gewonnene Zeit ist schnell wieder weg. Haben wir früher einen Brief pro Woche geschrieben, so schreiben wir jetzt 50 E-Mails und Kurznachrichten pro Tag. Die Menge an Nachrichten, die uns erreichen und die unserer Aufmerksamkeit bedürfen nimmt zu. Natürlich erwartet jeder, der uns schreibt, eine Antwort. Diese Erwartungshaltung setzt uns wiederum unter Druck. Eine andere Form der Beschleunigung erfahren wir in unseren Freizeitaktivitäten. Das Angebot an Optionen unsere Zeit zu verbringen wird immer größer. Nicht nur weil es immer mehr Optionen gibt, sondern auch weil wir mehr davon wahrnehmen können.¹

Die Grenzen unserer Lebensphilosophie

Welche der vielen Optionen sind die richtigen für mich? Welche sind meine kurzfristigen und  welche meine langfristigen Lebensziele? Auf die Frage nach Lebenszielen werden meist Dinge wie Erfolg, Gesundheit, Glück, Selbstverwirklichung und Familie genannt. Konkretere Dinge können auch ein schöner Urlaub, die nächste Beförderung oder das Bestehen der nächsten Klausur sein. Unabhängig von den einzelnen Zielen eint uns jedoch fast alle das Bestreben möglichst viele schöne Momente und Erlebnisse in unserer Lebenszeit zu haben. Wie kann ich mit den Ressourcen, die mir zur Verfügung stehen, ein Maximum an Glück im Leben erreichen? Dies könnte man als unsere Lebensphilosophie bezeichnen. Eine Lebensphilosophie benennt ein großes, übergeordnetes Lebensziel und gibt an, wie man dieses erreichen kann. William B. Irvine nennt die oben beschriebene und verbreitete Lebensphilosophie einen aufgeklärten Hedonismus².

Im Gegensatz zu einem unaufgeklärten Hedonismus, bei dem der Fokus auf dem maximalen Konsum im Hier und Jetzt liegt, wägen wir im aufgeklärten Hedonismus ab. Wir ersinnen Strategien, wie wir unsere Ziele erreichen, wir sondieren, welche Ziele welchen Nutzen und welche Kosten verursachen und versuchen ein Optimum zu finden. Wir studieren, wir gehen arbeiten, stehen jeden Tag um 7 Uhr auf, um uns den Urlaub leisten zu können, um uns einen großen Kombi und ein Haus kaufen zu können… Der aufgeklärte Hedonismus stößt in einer Gesellschaft mit immer mehr Möglichkeiten zunehmend an seine Grenzen. Es gibt immer mehr Ziele und immer mehr Möglichkeiten diese zu erreichen. Wer das Maximum aus allem rausholen will, muss alle Optionen kennen und sie auch ständig auf ihren Nutzen hin bewerten. Aber wer kann immer genau sagen was er will und wie sehr er es will? Genau dieses Problem wächst mit der steigenden Anzahl an Möglichkeiten in allen Lebensbereichen.

Beschleunigung + Hedonismus = Überforderung

Dass man viele Möglichkeiten hat, klingt doch eigentlich ganz gut. Ist es auch. Aber ab einem gewissen Punkt kann es zur Belastung werden. Dies kann sich schon an banalen Dingen zeigen. Dass man zwischen fünf Sorten Erdbeerjogurt wählen kann, anstatt zwei Sorten ist noch angenehm, aber wenn ich mich zwischen 28 Sorten Erdbeerjoghurt entscheiden muss, bin ich überfordert. Und je größer der Supermarkt des Lebens, desto problematischer: was wenn ich Joghurt mag, aber nicht weiß, ob ich mich heute zwischen den 28 Sorten Erdbeerjoghurt oder den 34 Sorten Bananenjoghurt entscheiden soll. Genau so im Leben, beispielsweise wenn es um Partnerschaft geht: Alles ist denkbar. Will ich eine Familie und wenn ja wann? Mit wem? Ist mein Partner der richtige? Soll ich noch weiter suchen oder mich überhaupt nicht binden? Oder soll ich die Beziehung aufgeben und den Job im Ausland annehmen- eine so tolle Gelegenheit kriege ich vielleicht nie wieder…. Bei diesen Fragen herrscht immer mehr Unsicherheit. Jedes Festlegen ist mit einem Verzicht verbunden und niemand möchte verzichten. Das große Problem bei der gestiegenen Anzahl an Optionen ist die Tatsache, dass wir immer mehr verpassen. Jede Entscheidung für etwas oder jemanden ist eine Entscheidung gegen die anderen Möglichkeiten, die man hat oder glaubt zu haben.

Erdbeerjoghurt

Foto: Eduard Szekeres

Doch nicht nur die Angst, den einen zu verpassen, wenn man sich zu dem oder der anderen mal so richtig bekennt, bremst den Bindungswillen, auch der explizite Wunsch nach Selbstverwirklichung stellt sich, gerade bei der Generation um die dreißig, dem bekennenden Pärchendasein entgegen.³

So viele Möglichkeiten, so viele Entscheidungen und keiner kann sie uns abnehmen. Wie man mit Beschleunigung und Überforderung umgehen kann, soll in den nächsten Blog Beiträgen behandelt werden.

 

—————————-
²Irivine, William B., 2009: A Guide to the Good Life. The Ancient Art of Stoic Joy. New York: Oxford University Press.

Der richtige Zeitpunkt, um etwas zu beginnen

Warum wir uns für große Aufgaben nie vollständig vorbereitet fühlen und trotzdem beginnen müssen.

Im Grunde habe ich gar keine Zeit, um diesen Beitrag zu schreiben. Andere Dinge sind gerade viel wichtiger und dringender. Obendrein fühle ich mich überhaupt nicht bereit jetzt zu beginnen. Sollte ich noch länger warten und mich noch mehr vorbereiten? – Nein!

Start before you’re ready. Don’t prepare. Begin. (Steven Pressfield)

Das Problem ist nicht der Mangel an Vorbereitung, sondern der Mangel an Mut. Das Verharren im Planen und Vorbereiten ist mit der Angst verbunden schlechte Arbeit abzuliefern oder gar zu scheitern. Wer etwas macht, macht sich angreifbar. Alle Handlungen, Entscheidungen und deren Folgen stehen zur Debatte und werden bewertet. Man kann als Held, Macher und Genie dastehen, aber auch als Amateur, Versager oder Idiot. Wer Realität schafft, muss mit echtem Feedback umgehen lernen und das kann schmerzhaft sein. Da ist das Aufschieben verständlicherweise bequemer und für die Gemütsruhe zuträglicher.

Ein anderer Grund für das Aufschieben ist die Abneigung davor, den Berg an Arbeit, der zwangsläufig kommen wird, in Angriff zu nehmen. Wer endlich damit beginnt seinen Roman zu schreiben, ahnt wie lange er sich damit rumschlagen werden wird und wie viele Frustrationen vor ihm liegen.

Nichtsdestotrotz müssen wir beginnen! Wir können gar nicht alles im Vorfeld wissen, da wir vieles erst im Prozess des Machens lernen. Wie wird man Schriftsteller? – Indem man schreibt. Ein mittelmäßiges, sogar ein miserables Buch geschrieben zu haben ist besser als gar keines geschrieben zu haben. Fehlschläge sind wichtige Etappen im Lernprozess und nur indem man etwas tut, kann man darin besser werden.

Selbst wenn der mühevoll geschriebene Roman grottenschlecht ist. Man weiß, man hat Mut bewiesen, sich aufgerafft, sich überwunden und etwas geschaffen. Das spornt an und einem ist bewusst, dass man vollbracht hat, woran man selbst und andere oft scheitern.

Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es. Kühnheit besitzt Genie, Macht und magische Kraft. Beginne es jetzt. (W. H. Murray)

 

Zum Weiterlesen:

Pressfield, Steven, 2011: Do The Work! Overcome Resistance and get out of your own way.