Macht Stoizismus erfolgreich?

Ist man erfolgreicher ohne stoische Tugenden? Bremsen einen die Maximen stoischer Philosophie bei der Karriereplanung aus? In der Philosophie des Stoizismus sind äußere Dinge, wie materieller Besitz oder Erfolg für das gute Leben nicht ausschlaggebend. Tugendhaftes Handeln, d.h. weise, gerecht, gemäßigt und mutig zu handeln ist entscheidend für das gute und gelingende Leben. Kann man erfolgreich sein mit einer Lebensphilosophie, in der Erfolg eine geringe Rolle spielt? Zum Einstieg, ein Beispiel einer Karriere eines Managers, der eine grundlegend un-stoische Lebensphilosophie vertrat und gelebt hat:

Das Leben des Jeffrey “Jeff” Skilling ist eine Geschichte von Ehrgeiz, Talent und sagenhaftem Erfolg. Es ist die Geschichte eines Mannes, der davon überzeugt war, dass Menschen von Grund auf egoistisch und nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind. Gier und Angst, seien demnach die einzigen Motivatoren menschlichen Handelns. “Are you smart?” ist Jeff Skilling in einem Auswahlgespräch an der Harvard Business School gefragt worden. Seine Antwort war: “I am fucking smart!” Und das war er auch. Der intelligente und extrem ehrgeizige Mann hat die Aufnahmeprüfung bestanden und seinen Abschluss als einer der 5% Besten seines Jahrgangs in Harvard gemacht. Was danach kam, war eine Karriere, die steiler nicht sein kann. Nach seiner Zeit bei McKinsey ist Skilling in einem Energieunternehmen eingestiegen, wo er im Laufe der Zeit seine Managementphilosophie des extremen Wettbewerbs implementierte. Stoische Tugenden wie Mäßigung oder Fairness galten als Zeichen von Schwäche. Skilling trieb seine Mitarbeiter und sich selbst unbarmherzig an, alles für Wachstum und Rendite zu tun. Wer lieferte wurde mit großen Boni belohnt und die 15% am schlechtesten abschneidenden Mitarbeiter einer Abteilung (unabhängig von der absoluten Performance) mussten sich entweder eine andere Stelle im Unternehmen suchen oder das Unternehmen verlassen. Skilling war derart erfolgreich, dass er schließlich 2001 als CEO 132 Mio. US Dollar verdiente. Sein Unternehmen wurde sogar fünf Mal in Folge zum innovativsten Unternehmen der USA gewählt. Eine absolute Erfolgsstory, oder? Am Zenit seiner Karriere stieg Skilling 2001 mit 48 Jahren überraschend aus dem Energieunternehmen, mit dem Namen Enron, aus. Ein Jahr später meldete Enron Konkurs an und es offenbarte sich einer der größten Betrugsskandale, die die USA je gesehen hat. Zehntausende Enron Mitarbeiter verloren ihre Jobs und Betriebsrenten. Tatsächlich hatte Enron schon jahrelang keine schwarzen Zahlen mehr geschrieben. Der Konzern hat auf höchstem Niveau mit fragwürdigen Geschäftsmodellen und spektakulärer und kreativer Bilanzfälschung operiert. Skilling wurde zu 24 Jahren Haft verurteilt.

Hätte Skilling auch unter Befolgung stoischer Tugenden erfolgreich werden können? Diese Frage kann man nur beantworten, wenn man definiert, was genau Erfolg heißen soll. Wenn man Erfolg als materielles, finanzielles und unternehmerisches Reüssieren versteht, dann steht Stoizismus dieser Art von Erfolg weder im Weg, noch garantiert er diesen. Entscheidend zu wissen ist, dass Erfolg nur zum Teil von uns selbst abhängt. Wer also nach Dingen strebt, die er nur bedingt beeinflussen kann, wer sein Lebensglück von Umständen und Zufällen abhängig macht, ist für die Stoiker ein Narr. Zentral für das gelingende Leben ist tugendhaftes Handeln. Dies ist das Einzige, was in sich gut ist und daher erstrebenswert. Man darf und soll durchaus beruflichen Erfolg anstreben, aber dieser darf nicht mit den Tugenden korrelieren, denn, so Mark Aurel, unser primärer Job ist es ein guter Mensch zu sein. Beruflicher Erfolg ist kein Selbstzweck und in sich gut oder erstrebenswert. Wir sind aber durchaus angehalten, unsere Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, um der Gesellschaft und uns Nutzen zu stiften. Somit können beruflicher Erfolg, Wohlstand und Status/Prestige einen instrumentellen Wert haben, nämlich indem sie uns ermöglichen tugendhaft zu handeln- Gutes zu tun. Höchstwahrscheinlich wäre Enron unter einem Stoiker Skilling nicht so schnell gewachsen, aber es würde das Unternehmen noch geben und ggf. wäre mehr Wert für Menschen gestiftet worden.

Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahnten Wesen!
(Johann Wolfgang Goethe)

Wir sollten uns nicht von Statussymbolen und Bilanzen beeindrucken lassen, sondern von Beispielen menschlich herausragenden Handelns, von Güte, Mut, Selbstlosigkeit und Bescheidenheit. Die Philosophie der Stoiker ist im Grunde eine Philosophie des Erfolges- eines Erfolges, der für jeden Menschen machbar ist. Entscheidend ist es nicht, perfekt tugendhaft zu leben, sondern sich beständig diesem Ziel zu nähern. Ein besserer Mensch zu werden liegt in unserer Hand und daran zu arbeiten, ist worauf es ankommt. Und jeder noch so kleine Schritt in diese Richtung ist ein Erfolg. So gesehen ist jede tugendhafte Handlung ein Erfolg. Auf das richtige Handeln im Hier und Jetzt gilt es sich zu fokussieren. Erfolge anderer Art stellen sich ein oder nicht, nur unser eigenes Bemühen ist, was wir wirklich beeinflussen können. Durch dieses stete Bemühen leben wir ein Leben voller Erfolgsmomente, Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit.

Your potential, the absolute best you’re capable of – that’s the metric to measure yourself against. Your standards are. Winning ist not enough. People can get lucky and win. People can be assholes and win. Anyone can win. But not everyone is the best possible version of themselves. (Ryan Holiday)

Zum Weiterlesen:

https://qz.com/956682/philosopher-andrew-taggart-is-helping-silicon-valley-executives-define-success/