“Gute” Vorsätze und “schlechte” Vorsätze? Stoizismus vs. Selbstoptimierung

Charakter oder Körper? – Was gilt es zu optimieren?

“Mehr Sport treiben.” – Das ist wohl einer der beliebtesten Vorsätze fürs neue Jahr. Dagegen ist nichts einzuwenden- oder? Was verstehen Stoiker unter guten Vorsätzen? Welche Maßstäbe kann man an Vorsätze legen, um zu prüfen, ob sie wirklich “gut” sind? Zur Erinnerung: In der Philosophie der Stoa ist ein guter Charakter und das damit verbundene tugendhafte (=weise, gerechte, mutige und maßvolle) Handeln das höchste Gut.

Aus der Sicht des Stoizismus ist am Streben danach, seine eigenen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, nichts verkehrt. Uns so gut wie möglich einzubringen und einen Nutzen für die Gesellschaft zu stiften, ist sogar unsere Pflicht. Allein bei der Optimierung der eigenen Person gilt es aufzupassen und sich zu fragen, was die dahinterliegenden Motive sind. Sind es materialistische, eitle, oberflächliche Beweggründe? Treibe ich Sport oder nehme ich ab, um Anerkennung und Bewunderung zu bekommen? Will ich gesünder sein oder will ich mich und meinen Körper inszenieren?

Das Problem der Selbstoptimierung ist die Gefahr, einem unerreichbaren Ideal hinterherzurennen und in eine Egozentriertheit abzugleiten. Optimierung erfolgt zunehmend in allen Lebensbereichen. Ein sog. ‘perfektes Leben’ umfasst einen gesunden, schönen Körper, beruflichen Erfolg, einen attraktiven Partner, materiellen Wohlstand und bildgewaltig, professionell inszenierte Freizeiterlebnisse. Sich dahingehend ständig zu optimieren und dies auf Social Media darzustellen ist für die Stoiker nicht erstrebenswert. Es ist wohl eher der Gegenentwurf zu einem auf tugendhaften Handeln basierenden Leben- und vielleicht der sichere Weg in einen Burnout. Der immer stärker werdende Wunsch, und v.a. Druck, perfekt zu sein, führt insbesondere in der Generation Y zu Überforderung, Depression und Burnout. (1)(2)

Warum eigentlich “mehr Sport treiben”?

Bei Vorsätzen sollte man stets die zugrunde liegende Motivation prüfen und sich fragen, welche Konsequenzen dies für einen selbst und vor allem für die soziale und ökologische Umwelt haben wird.

Soll man nun mehr Sport treiben oder nicht? Körperliches Training ist (normalerweise) gesund und ermöglicht Fitness und auch Disziplin auszubilden, was wiederum helfen kann, tugendhaft zu handeln und seiner gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen. Wenn man seine Familie und Freunde jedoch vernachlässigt, um Sport zu machen, ist dies wiederum problematisch. Andererseits ist es bis zu einem gewissen Grad eine persönliche Pflicht, sofern möglich und mit Maß betrieben, sich körperlich zu betätigen, um beispielsweise einem Hexenschuss oder chronischen Leiden vorzubeugen. Gesundheit hat nämlich einen mittelbaren, instrumentellen Wert, d.h. es ermöglicht oder erleichtert tugendhaft(er) zu handeln.

Wir nehmen ein Beispiel: Ein Paar, mit kleinen Kindern, das zeitlich eng getaktet ist, mit Familie, Beruf und Haushalt, nimmt sich vor, mehr Sport zu treiben. Dies könnte beispielsweise zwei Formen annehmen und aus zwei Motivationen heraus geschehen:

a) Man trainiert an fünf Tagen in der Woche für jeweils mehrere Stunden, um einen perfekt geformten Körper zu haben und als tolle, fitte Mutter bzw. Vater wahrgenommen zu werden. In gleichem Maße verbringt man weniger Zeit mit Familie und Freunden und vernachlässigt seine Aufgaben z.B. auch in Beruf und Haushalt.

b) Man trainiert zwei bis drei Mal pro Woche für jeweils eine Stunde, insbesondere um seinen Rücken und den Bewegungsapparat zu stärken. Als Konsequenz ist man sowohl psychisch ausgeglichener, als auch besser in der Lage z.B. ein kleines Kind zu heben, ohne Rücken- oder Nackenschmerzen davon zu bekommen.

Fazit: Es ist weitaus wichtiger ein guter Mensch zu sein, als ein fitter Mensch

Körperliche Fitness kann durchaus zu einem guten Charakter beitragen. Bei der Gewichtung ist ganz klar zu sagen: Ein guter Charakter und das damit verbundene tugendhafte Handeln sind weitaus wichtiger für ein gutes, erfülltes und gelingendes Leben, als körperliche Fitness. Der Philosoph und Psychotherapeut Donald Robertson fasst die Haltung der Stoiker zu Fitness wie folgt zusammen:

Remember, the goal is to improve your self-discipline and related ‘virtues’ or character strengths, rather than to lose weight or gain physical health. If you’re exercising self-discipline and perseverance, though, it makes sense to do it in a healthy direction, doesn’t it? Stoics refer to physical health and fitness as something ‘preferred’ but ultimately irrelevant, or ‘indifferent’, in relation to true Happiness and fulfilment. Cultivating a healthy character, is infinitely more important to them than cultivating a healthy body. Nevertheless, we develop self-discipline precisely by trying to do healthy and appropriate things in the world, whether or not they turn out as we’d have preferred.(3) 

Für Stoiker ist der beste Vorsatz an seinem Charakter zu arbeiten und ein besserer Mensch zu werden. Sofern “mehr Sport treiben” uns dabei hilft oder uns zumindest nicht davon abhält, ist dagegen nichts einzuwenden. 

Literatur:

(1) https://www.zeit.de/arbeit/2019-01/burnout-syndrom-berufsstart-ueberarbeitung-erschoepfung-leistungsunfaehigkeit 

(2) https://www.buzzfeednews.com/article/annehelenpetersen/millennials-burnout-generation-debt-work

(3) Robertson, Donald, 2015: Stoicism and the Art of Happiness. Ancient Tips for modern Challenges. Seite 12-13.