Wer hat schon eine klare Antwort auf die Frage, was ihn im Leben antreibt bzw. worin seine Lebensaufgabe besteht? Diese nicht zu haben, kann aber durchaus problematisch sein. Viktor E. Frankl hat Sinn als zentralen Bestandteil des menschlichen Lebens gesehen und dessen Abwesenheit als Ursache für Leid und Unglück. Letztlich leide der moderne Mensch an Sinnlosigkeit, an einer quälenden Leere, dem Nichtwissen, warum und wozu man lebt. Weder ist der Mensch rein instinktgesteuert, noch leben wir in einer Zeit, in der Tradition unser Leben vollständig bestimmt. Wie können wir dieses “existentielle Vakuum” füllen?¹
Sinn- und identitätsstiftend kann nur eine Aufgabe sein, in der wir aufgehen, deren Erfüllung uns etwas bedeutet, uns wichtig ist. Alex Lickerman prägt, in Anlehnung an Frankl, den Begriff der “Mission”, einer persönlichen Lebensaufgabe. Wer seine Mission kennt, weiß, was er im Leben zu tun hat und wofür er lebt. Und noch mehr als das: das Kennen und Leben der eigenen Mission steigert den Selbstwert und verleiht Kraft, auch unter schwierigsten Bedingungen durchzuhalten. Viktor Frankl, selbst KZ-Überlebender, betonte, dass Leiden aufhöre Leiden zu sein, wenn es einen Sinn bekommt. Der Entschluss, seine Erfahrungen im Konzentrationslager dafür zu verwenden, der Welt ein besseres Verständnis von Sinn zu vermitteln, bewahrte ihn davor, an seinen Erlebnissen psychisch zu zerbrechen.
Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie. (Friedrich Nietzsche)
Folgende Aspekte charakterisieren eine Mission:
1. Eine Mission ist eine Aufgabe und kein Ziel: Sie kann durch verschiedene Strategien verfolgt werden.
Die Mission eines Künstler kann beispielsweise sein, Schönheit in die Welt zu setzen. Aus persönlicher Neigung heraus tut er dies in Form der Bildhauerei. Sollte er jedoch physisch nicht mehr in der Lage sein mit seinen Händen Skulpturen zu erschaffen, kann er andere Strategien finden seine Mission zu erfüllen. Es gibt immer Mittel und Wege, um seiner Mission nachzugehen. Im Grunde können äußere Umstände der Erfüllung nicht im Wege stehen. Daher ist es wichtig, die Mission als Aufgabe statt als Ziel zu sehen. Am Ziel, z.B. 2000 Skulpturen zu erschaffen, kann man scheitern, an der Aufgabe Schönheit in die Welt zu setzen jedoch nicht. Solange man nicht aufgibt, arbeitet man am Erfüllen der Mission. Es ist ein Rennen ohne Ziellinie. Was zählt, ist das Vorwärtskommen und das unermüdliche Laufen in die richtige Richtung.
2. Die Strategien zur Erfüllung der Mission müssen uns in irgendeiner Form Freude bereiten.
Eine Mission kann z.B. darin bestehen, Menschen in materieller Not zu helfen. Aber nicht jeder ist dazu geeignet, in Krisengebieten unter widrigsten Bedingungen humanitäre Hilfe zu leisten. Wer mehr Freude am Einwerben von Geldern oder an der Organisation von Spendenkonvois hat, der sollte sich entsprechend hier engagieren. Selbst wenn ein Zweck oder eine Aufgabe uns sehr am Herzen liegt, aber die Strategien zur Erfüllung der Mission uns kaum Freude bereiten und sich wie große persönliche Opfer anfühlen, werden wir diese nur schwer langfristig aufrechterhalten können. Um nachhaltig glücklich zu sein, müssen wir die Strategien zur Erfüllung der Mission in gleichem Maße lieben wie die Mission selbst.
3. Das Erfüllen der Mission schafft stets Wert für andere
Was der Mission den großen Wert für unser Glücklichsein gibt, ist die Tatsache, dass das Erfüllen der Mission immer auch Wert für andere schafft. Für andere Gutes tun, erhöht nachweislich die eigene Zufriedenheit. Je größer der Wert ist, den wir für andere schaffen, desto größer ist auch unser Selbstwertgefühl und der Wert, den wir unserem eigenen Leben beimessen. Auch der Künstler, der Schönheit in die Welt setzen möchte, tut dies letztlich für andere Menschen.
Wie finde ich meine Mission?
Das Finden der eigenen Mission ist keine triviale Angelegenheit. Wichtig für das Verstehen des Konzepts der Mission ist, dass sie aus sich selbst heraus kommt. Anders als eine militärische Mission wird sie uns nicht erteilt, sondern wir legen sie frei. Was uns wichtig ist, was uns Freude bereitet oder eine tiefe Genugtuung können wir uns, genau wie die Mission nicht aussuchen. Auf der Suche nach der Mission müssen wir uns überlegen, was uns Freude beschert, was für uns aufregend ist und den dahinterliegenden gemeinsamen Nenner finden. Welche wertschaffende Tätigkeit könnte dies sein? Lickerman schlägt vor, sich in einem Gedankenexperiment zu fragen, wofür man an seinem Lebensende geehrt werden möchte. Schönheit in die Welt setzen, anderen helfen gesünder zu werden, seine Kinder zu glücklichen Menschen erziehen oder anderen bei der Suche nach Glück und Sinn zu helfen… – Was ist deine Mission?
Literatur:
¹Frankl, Viktor E., 2015: Das Leiden am sinnlosen Leben: Psychotherapie für heute. (Sowie online: http://www.lesekost.de/deutsch/au/hhlau08.htm )
²Lickerman, Alex, 2012: The Undefeated Mind. On the Science of Constructing an Indestructible Self.